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32. Verrückte Bibliothekarin (Anthologie)

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Fräulein Charlotte Brown, Bibliothekarin, schnappt über

Von Felix Jung

Heute habe ich beschlossen
Jedes Gedicht zu lesen, das je einer schrieb
In der kurzen Geschichte unserer Zivilisation.
Ich weiß, es ist sehr egoistisch,

zu lesen. Jedes Gedicht, das je einer schrieb
hat seine guten Vorsätze. Ich weiß,
Ich weiß, es ist sehr egoistisch.
Ich möchte das glauben. Poesie

hat ihre guten Vorsätze. Ich weiß,
Gedichte lesen hilft nicht wirklich.
Ich möchte glauben, daß Poesie-
Bücher die Antwort sind. Ich beginne

Zu lesen. Poesie hilft nicht wirklich
In der kurzen Geschichte unserer Zivilisation.
Bücher sind die Antwort. Ich beginne
Heute, hab ich beschlossen.

In der Tat: heute habe ich beschlossen… – nicht nur weiterhin alle Gedichte zu lesen, die je einer schrieb**), sondern auch meine Anthologie wieder aufzunehmen. Die aufwendige Lyrikzeitung hat mein früheres Lyrik-Web-Projekt erst ausgebremst und dann völlig zum Erliegen gebracht. Meine private Anthologie war begonnen als eine Art Tagebuch (Blog) in Gedichten, die mich bei meiner täglichen Lektüre anspringen. Einige habe ich irgendwo notiert zur späteren Verwendung, die meisten aus den letzten zwei Jahren sind einfach verlorengegangen (manche freilich auch in die Lyrikzeitung eingegangen). Warum also nicht gleich für L&P?
Hier also ein Gedicht, das mich nicht wirklich heute, aber vor zwei Tagen spätnachts beim Suchen in der umwerfenden Sammlung der Wanderung Minstrels ansprang. Der Autor ist garantiert nicht Deutscher, sondern Amerikaner. Nach deutschen Feuilletonmaßstäben eher ein sog. “experimenteller” Dichter. Im Netz sind ein paar visuelle Gedichtpräsentationen zu finden. Die Gedichte, soweit ich sie kenne, sind eher traditionell als experimentell, so auch dieses (von mir übertragen; Original unten). Es ist ein Pantoum – eine malayische Gedichtform, von Franzosen (u.a. Victor Hugo und Charles Baudelaire) und Briten bzw. Amerikanern (neuerdings auch ein paar Deutschen, wie Oskar Pastior) adaptiert. Unter den (Reim-)-Spielformen (Sonett, Sestine, Villanelle etc.) vielleicht die extremste.

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Miss Charlotte Brown, Librarian, Goes Mad

Today, I have decided
to read every poem ever written
in the short history of our civilization.
I know it is a selfish thing

to read. Every poem ever written
has its good intentions. I know,
I know, it is a selfish thing.
I want to believe that. Poetry

has its good intentions. I know
reading poems can’t help much.
I want to believe that poetry
books have the answer. I’ll start

reading. Poems can’t help much
in the short history of our civilization.
Books have the answer. I’ll start
today. I have decided.

Felix Jung
**) Zur Zeit bin ich bei: Hebräischer Dichtung aus drei Jahrtausenden (leider nur Englisch) – kommt bald auch in die Anthologie! – und gesammelten Werken der Herren Toys, Himmelfahrt, Virglich etc. (zur Auflockerung gelegentlich unterbrochen durch die Damen Sorglos, Szöhn, Greiffenberg und Cruz). / 11.2.04



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